Ilhabela

rio areado ilhabela São Paulo, Februar 2012 – Die vielen Male, die ich bereits mit dem motorisierten Einbaum von dem kleinen Fischerort Bonete, auf der Rückseite der Ilhabela, die 14 km zurück nach Borrifos fuhr und die prächtige Berglandschaft auf der Steuerbordseite bewunderte, war mir bislang nie etwas Ungewöhnliches aufgefallen.

Dies änderte sich an dem Tag, als eines der Boote, aufgrund der Wetterverhältnisse, in einem größeren Abstand vom Festland zurückfuhr und somit ein Winkel entstand, der tief im Regenwald eine 50 bis 100 Meter hohe Wasserfallstufe sichtbar werden ließ. Als der Bootsmann mein Erstaunen im Gesicht sah, lachte er nur und sagte: “soviel er wüßte, ginge da sogar ein alter Trail hin”.

cachoeira areado ilhabelaLeider liegt der Zugang zu diesem Wasserfall etwas unglücklich, auf 2 / 3 Wegstrecke zwischen Borrifos und Bonete, so daß man entweder am Trail – Head übernachten, oder von Bonete aus eine gute Stunde zurücklaufen muß (meine Variante).

Mit relativ schwerem Rucksack für 7 Tage startete ich in Borrifos gegen 15 Uhr und erreichte den Campingplatz in Bonete kurz nach Sonnenuntergang. Mittlerweile hat die Gemeinde eine Hängebrücke über den ersten Fluss (Laje) installiert, da dieser bei starkem Regen so stark anschwillt, daß eine Querung unmöglich wird. Eine ähnliche Konstruktion über den Areado bzw. einen scheinbar kl. Wasserfall, kurz vor Bonete folgt in Kürze.

areado pool ilhabelaAm nächsten Tag stand ich früh auf, lief die ca. 4 km zurück und suchte den vermeintlichen Trail – Head. Dieser ist vom Hauptweg praktisch nicht zu erkennen, man muß sich die ersten 50 Meter durchs Unterholz schlagen, bis man mit etwas Geduld und Glück dann einen kl. Trampelpfad entdeckt. Dieser ist die ersten 2 km, sogar relativ sichtbar und führt zu den von dichter Mata Atlântica überwachsenen Ruinen eines Hauses. Danach verschwindet der Trail immer öfter unter der Vegetation und nachdem mein GPS, völlig unerklärlich, für ein paar Sekunden tot war und ich darüberhinaus noch Anzeichen von Jägern fand, entschied ich mich (ca. 1 h vor dem Wasserfall) umzudrehen. Ob der Trail heute noch ganz an den Wasserfall heranführt, bleibt unklar. Im Ort hieß es, nur noch 1 bis 2 Personen kennen überhaupt noch diesen Trail und ein anderer Caiçara, den ich am übernächsten Tag in Enchovas traf, sagte mir der Wasserfall wäre weiter entfernt, als man meint, im letzten Teil traillos und ohne Buschmesser (Facão) heute nicht mehr erreichbar.

rio areado ilhabelaWas auf der Ilhabela wahrscheinlich niemand, in Bonete aber fast alle wußten, ist daß in den Ruinen des Hauses, bis vor etwa 10 Jahren, ein Einsiedler deutscher Herkunft, mit Namen Mathias lebte, der dort Kohl und anderes Gemüse angepflanzt hätte, jagte und in der Nähe des Wasserfalls nach Edelmetallen bzw. Edelsteinen schürfte. Angeblich wäre dieser Mann Soldat im 3. Reich gewesen, lebte bereits vorher in Brasilien und hätte sich dort vor der Suche deutscher Behörden (Kriegsverbrecher?) versteckt gehalten. Die Dorfbewohner errinnern sich noch daran, daß Sie Ihn in fortgeschrittenen Alter, schwerkrank im Regenwald fanden, Ihn mit 8 Leuten ins Dorf trugen und ins Krankenhaus nach São Sebastião schifften, wo er wenig später verstarb. Ich fand die Geschichte dieses Mannes, der mit einem Papagai auf den Schultern herumgelaufen sein soll, so faszinierend, daß ich mir erlaube, diesen Pfad Mathias – Trail zu taufen.

praia do boneteFür den nächsten Tag hatte ich eigentlich einen Vorstoß in den Estevão – Trail geplant, benannt nach einem der ersten Bewohner des ehemaligen Piratennestes Bonete. Über 200 Jahre nutzten die Bewohner des Ortes diesen schweren Trail, um auf die Vorderseite (Kanalseite) der Ilhabela zu gelangen. Die Eigentümerin des Campingplatzes erzählte mir, daß Sie als Kind sehr oft krank war und Ihr Vater Sie auf den Armen über diesen Trail zum nächsten Arzt (Santa Casa) in der Vila de Ilhabela getragen habe. Das sind ja nur 30 km und (extrem steile) 800 Höhenmeter durch dichten Regenwald! Die Parkwächter auf der anderen Seite erzählten mir, daß Sie einen Teil des Trails zu bestimmten Tagen patroullieren, der weitere Verlauf (nach Bonete) aber wahrscheinlich sehr schwierig wäre. Mittlerweile weiß ich, daß dieser Teil definitiv unzugänglich ist. Die Bewohner Bonetes hoffen allerdings, daß die Parkverantwortlichen diesen Trail wieder freischlagen, da er so fundamental mit der Geschichte ihres Ortes verbunden ist (Kulturerbe).

ponta das enchovas ilhabelaAlso gönnte ich mir einen Ausruh- und Fototag, vor der langen Überquerung nach Figueira. Auf dem Weg dahin, nahe Enchovas, traf ich einen älteren Caiçara namens Primitivo, der sofort wissen wollte, wo ich denn hin wolle, mich aufmerksam musterte und mich dann ermahnte; so wolle ich doch wohl nicht in den Regenwald (er meinte die fehlenden Gamaschen, die ich im Rucksack hatte). Ich wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht (erzählte mir später Paulo in Figueira), daß Primitivo vor vielen Jahren einen Verwandten durch den Schlangenbiß einer Jararaca – Açú verloren hatte (Açú bedeutet groß in Tupi – Guarani). Die Schlange erwischte Ihn oberhalb des Gummistiefels, in der Kniekehle und er war sofort bewußtlos. Nach 45 Minuten Tragezeit zum Boot, erreichten Sie nach etwa 1 Stunde das Krankenhaus in São Sebastião, wo er das Gegengift erhielt. Es war zu spät, am nächsten Morgen um vier Uhr früh verstarb er. Auch wenn Schlangenbisse wirklich selten sind und 80% der Bisse bis zum Knöchel geschehen, bestätigte dies einmal mehr die Sinnfälligkeit des Tragens von Gamaschen.

praia da figueira ilhabela800 Höhenmeter und 7 Stunden später, kam ich dann endlich in Figueira an, ein kleiner Strand, an dem heute 4 Caiçara – Familien leben. Kurz vor dem Strand traf ich auf Paulo, mit seinen 2 Jagdhunden und in jeder Hand eine Bananenstaude. Etwa 8 blonde, helläugige Kinder (Nachfahren europäischer Piraten?) wiesen mir in Paulos “Vorgarten” einen Platz für mein kl. Zelt zu. Das ich aus dem “fernen” Bonete kam, konnte die Kinder nicht sonderlich beeindrucken, denn dahin wären sie auch schon oft gelaufen. Daran können sich die Kinder wohlhabender Eltern in SP mal ein Beispiel nehmen, den die klagen schon, wenn sie 20 Minuten zu Fuß zur Schule gehen müssen (es könnte ja regnen).

paulo figueira ilhabelaPaulo ist etwa 30 Jahre alt, stammt aus einer 11 – köpfigen Familie, die sich über die ganze Insel verteilt, ist Fischer und lebt seit etwa 1 Jahr wieder permanent mit seiner Frau und seinen Kindern in Figueira. Große Städte seien nichts für Ihn und Fischen sei sein Leben, sagt er. Paulo fischt mit Netz, Leine / Haken und Harpune (laut Gesetz auf der Ilhabela ohne Sauerstofflasche bzw. Kompressor). Wie tief er denn tauche fragte ich; 4 Meter? Da lachte er nur und sagte; nein, bis auf 25 m mußt Du schon runter, wenn Du Langusten haben willst.

ilha das galhetas ilhabelaWenn ich Paulo so zuhörte und zusah, wie er mit seinen 30 Jahren Tag für Tag um die Existenz seiner Familie kämpfte, konnte ich nur nüchtern feststellen, daß ich dagegen mit 30 Jahren noch ein kleines Kind war.

Eigentlich wollte ich am nächsten Tag weiter zum Saco do Sombrio, wo die Marine ein Restaurant unterhält und eine lange Überquerung zu einem Leuchtturm (Ponta do Boi) beginnt, oder besser gesagt, begann. Paulo machte alle diese Pläne zunichte, indem er mir erklärte, daß beide Trails seit Jahren zugewachsen sind. Er erinnere sich noch, mit seinem Vater diesen Trail begangen zu haben, aber heute würde selbst er diesen Weg nicht mehr finden. Die Marinesoldaten, die auf diesem Weg früher zu Fuß den Leuchturm erreichten, würden heutzutage ausschließlich mit dem Hubschrauber eingeflogen.

cachoeira praia figueira ilhabelaDamit blieb mir dann eigentlich nichts anderes übrig, als nach Castelhanos (etwa in der Mitte der Insel) zurückzugehen und von dort aus den Nordteil der Insel bis zum Fischerdorf Serraria, zu erkunden. Aber auch diesen Plan zerschmetterte Paulo im Handumdrehen, in dem er mir mitteilte, der Weg von Castelhanos nach Eustáquio (ca. 4 Stunden) würde seit Jahren nicht mehr begangen und wäre seines Wissens nach mit dichtem Taquaruçu, einer Art Bambusart versperrt. Das ich kein Buschmesser auf meiner Tour dabeihatte, war Paulo sowieso völlig unverständlich.

bromelie figueira ilhabelaDa sein Sohn mir verriet, daß Paulo am übernächsten Tag mit dem Kanu auf die Vorderseite der Ilhabela fahren würde, um seinen Fisch zu verkaufen und mich dann einen Teil des Weges mitnehmen könnte, entschied ich noch einen Tag in Figueira zu bleiben. Den Vormittag nutzte ich dann, einen Trail zu erkunden, den Paulo und die anderen Familien nutzen, wenn sie nach Bonete laufen. Er ist kürzer und etwas steiler und etwa bis zur Hälfte als Trail sichtbar. Danach bewegt man sich dann frei durch den Regenwald. Witzig war, daß Paulos Jagdhunde mich nach etwa 1 / 2 Stunde aufspürten und mir von da an auf Schritt und Tritt folgten. Einer von ihnen hatte erst vor kurzem einen Schlangenbiß überlebt.

paulos-jagdhund-und-tour-guideAls Paulo, der es gewohnt ist, 24 h beschäftigt zu sein, mich am Nachmittag nichtstuend vor meinem Zelt lümmeln sah, kam er zu mir und sagte; es gäbe da noch einen Trail zu einem unbewohnten Strand (in Richtung Saco do Sombrio), von dem er sich vorstellen könnte, daß ich diesen evtl. fände. Und schon war ich wieder mit einem seiner Jagdhunde unterwegs. Ohne diesen hätte ich den Strand auch nicht gefunden, denn Paulo ist bei seiner Erklärung ein kl. Patzer unterlaufen (was einem Caiçara äußerst selten passiert!). Er sprach von 2 Flussquerungen, aber es sind 3. So stand ich nach der 2. Flussquerung ratlos im Wald, irrte etwas orientierungslos umher, bis mir auffiel, daß sein Hund immer wieder, an einer bestimmten Stelle zwischen den Felsen herumturnte. Ohne ihn wäre ich nie auf die Idee gekommen, daß es dort weitergehen könnte. Aber so war es, danach dann noch 20 Minuten durch eine ausgetrocknetes Flussbett und schon war man am Strand.

eustáquio ilhabelaAnsonsten waren die beiden Abende bzw. Nächte grandios in Figueira. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals unter einer so großartigen Kulisse zu abend gegessen zu haben. Gegen 21:00 stellte Paulo mir, dem einzigen “Gast”, den Teller mit Fisch vom Tag, auf einen schlichten Holztisch, direkt am Strand und daneben eine einfache Kerze. Und da speiste ich dann, mit Blick aufs Meer , Brandungsrauschen in den Ohren und über mir das Kreuz des Südens und die Milchstraße.

praia caveira ilhabelaAm nächsten Tag setzte mich Paulo in Eustáquio ab und wie vermutet, bestätigten mir die Fischer, daß der Weg nach Castelhanos zugewachsen und schon seit Jahren nicht mehr begangen werde. Also machte ich mich auf nach Norden, in Richtung Serraria.

Kurz vor dem Fischerort traf ich den stämmigen Fabio und seinen rottweilerartigen Hund. Fabio schaute anfangs etwas unfreundlich, da er mich nicht kannte und ich Ihn dabei erwischt hatte, wie er sich gerade ein Ruder geschnitzt hatte (natürlich verboten). Später erzählte er mir, daß er 7 Ruder pro Tag schnitzt und für ein Kanu etwa 1 Monat benötigt. Mit Motor ist dieses dann für 10.000 R$, also umgerechnet etwa 4.000 Euro zu haben.

praia serraria ilhabelaSerraria war für mich Endstation, denn der ehemalige Trail am Morro da Serraria vorbei nach Poço, gab es nicht mehr, aber das wußte ich bereits. Einige sind daran interessiert, diesen Trail freizuschlagen, denn dann könnte man im Prinzip die gesamte Ilhabela umrunden.

Der Vater von Fabio, Almerindo brachte mich zurück nach Castelhanos, wo ich am Nachmittag noch Zeit hatte, den Gato – Wasserfall zu fotografieren. Ein Weg für die Touristen, mit Eifelwanderweg – Qualität und einer schönen Wasserfallstufe des Castelhanos – Flusses am Trail – End.

cachoeira do gato ilhabela

Meinen vorletzten Tag nutzte ich ich dazu, etwa die Hälfte des Weges in Richtung Estáquio, bis zur Cachoeira da Laje Preta auszuprobieren. Vom Campingplatz in Castelhanos habe ich mit leichtem Rucksack, relativ schnellem Schritt und ohne Pausen etwas mehr als 2 Stunden dorthin benötigt. Auch wenn der Weg weitgehend sichtbar ist, ist klar zu erkennen, daß hier praktisch keiner mehr langläuft (4 Stunden hin und zurück (500 Hm) ist auch für die meisten Touristen zu viel, die nach Castelhanos kommen.

cachoeira da laje preta ilhabelaEigentlich wollte ich erst am nächsten Tag über die 22 km lange (700 Hm) Sand- und Schotterstraße zurück, aber gegen Mitternacht entschloß ich mich kurzerhand mein Zelt zusammenzupacken und, bei etwas angenehmeren Temperaturen als am Tag, zumindestens einen Teil des Weges zu bewältigen. Am Ende bin ich dann doch durchgelaufen und war kurz vor Sonnenaufgang zu Haus.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß viele der Trails auf der Ilhabela am “aussterben” sind. Bis auf eine paar wenige Abenteurer, ist Wandern bzw. Trekking nicht unbedingt Volkssport der Brasilianer, viele haben Angst vor den Gefahren des Regenwaldes und die lokalen Kommunen benutzen zunehmend ihre Boote, um von A nach B zu kommen. Schade!

ilhabela trekking

About Frank Segieth

Seit 2007 unabhängiger Autor, Fotograf und Tour - Guide im brasilianischem Küstenregenwald / (Mata Atlântica).
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